Starkes Wirtschaftswachstum und steigende Einkommen führen dazu, dass sich China immer mehr zum größten Verbrauchermarkt der Welt entwickelt. Das Wachstumspotenzial Chinas ist unbestreitbar und viele Investorinnen und Investoren möchten daran teilhaben. Doch was ist zu bedenken, wenn man auch das Thema Nachhaltigkeit in diese Investitionsentscheidungen mit einfließen lassen möchte?
Vor gut zwei Jahren war der Markt für nachhaltige Investitionen in China so gut wie inexistent. ESG-Kriterien, also der Einbezug von Kriterien bezüglich Umwelt, Sozialem und guter Unternehmensführung in die Investitionsentscheidung, spielten keine Rolle. Erst die Ankündigung von Präsident Xi Jinping, dass China bis zum Jahr 2060 CO2-neutral werden solle, läutete den Gedankenwechsel ein. Zusätzlichen Rückenwind erhielt die Verwendung von ESG-Kriterien durch den offiziellen Plan der chinesischen Regierung zum „gemeinsamen Wohlstand“ (engl. common prosperity). Der Begriff impliziert eine Umverteilung von Wohlstand zur ärmeren Bevölkerung. Zusätzlich sind auch Investitionen in eine bessere Lebensqualität Teil des Plans. Der gemeinsame Wohlstand soll eine gesündere Bevölkerung fördern und eine saubere Umwelt schaffen.
Per Ende August 2022 hatte sich das Vermögen von chinesischen ESG-Fonds seit 2021 gemäß Bloomberg verdoppelt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich die ESG-Definition von chinesischen Vermögensverwaltern eng an den politischen Prioritäten Pekings orientiert. Zudem kämpft China noch mit weit elementareren Problemen als Europa. Während wir uns zum Beispiel bereits darum bemühen beim Hausbau zahlreiche Nachhaltigkeitskriterien zu beachten, leidet Chinas Baubranche noch immer unter Korruption. Die Definition von Nachhaltigkeit hängt je nach Wirtschaftsbranche stark mit wirtschaftlichem Fortschritt, Kultur und Ideologie zusammen.
Von den mehr als 170 in China ansässigen ESG-Fonds waren laut Bloomberg-Daten per Ende August 2022 etwa 15 % in Kohleunternehmen investiert, der mit Abstand größten Quelle von Treibhausgasemissionen in China. Mehr als 60 % tätigten Investitionen in der Stahlindustrie, einem großen Abnehmer von Kohle in China. Auch Rüstungsunternehmen befinden sich in knapp der Hälfte der chinesischen ESG-Fonds. Viele der Fondsmanager und der börsengelisteten Unternehmen haben noch ein geringeres Verständnis für ESG-Investitionen. Immer mehr internationale Investorinnen und Investoren fordern mittlerweile aber ESG-Berichte und setzen chinesische Unternehmen damit unter Druck.
Für einige ESG-Investorinnen und ESG-Investoren in Europa und den USA ist Chinas autoritäres Regime automatisch ein Ausschlusskriterium. Aber es gibt auch viele, die dort Chancen sehen. Ende März 2022 hielten die in Europa ansässigen ESG-Fonds rund 130 Milliarden US-Dollar an chinesischen Vermögenswerten – mehr als doppelt so viel wie Chinas eigene ESG-Fondsbranche.
Es sollte aber immer bedacht werden, dass Investitionen in chinesische Unternehmen stets mit regulatorischen Risiken verbunden sind. In der Vergangenheit hat Chinas Regierung schon des Öfteren schwerwiegende Eingriffe in die Märkte vorgenommen. So wurde einerseits der private Bildungssektor reguliert, damit sich alle Bürgerinnen und Bürger Chinas Nachhilfe leisten können. Andererseits wurde auch die Videospielindustrie reguliert, um Spielsucht bei Kindern entgegenzuwirken.
ESG-Überlegungen für chinesische Anlagen werden in nächster Zeit ein komplexes und emotionales Thema bleiben, da sie ein Spektrum unterschiedlicher Überzeugungen und Meinungen umfassen.
Bloomberg (2022): Xi’s ESG Boom Funnels Billions Into Coal, Liquor, Defense Stocks
https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-09-06/china-s-esg-fund-investing-boom-follows-xi-s-political-agendaJ.P.Morgan Asset Management (2022): ESG investing in China: Considerations for sustainable portfolios
https://am.jpmorgan.com/lu/en/asset-management/per/insights/market-insights/market-updates/on-the-minds-of-investors/china-and-esg-investing/Dezan Shira & Associates China Briefing (2022): How to Understand China’s Common Prosperity Policy
https://www.china-briefing.com/news/china-common-prosperity-what-does-it-mean-for-foreign-investors/Bildnachweis: Adobe Stock