Die Strategie zur Bekämpfung des Klimawandels scheint mit dem jüngst von der EU-Kommission präsentierten Gesetzesentwurf „Fit for 55“ nun Gestalt anzunehmen. Mit dem Gesetz soll der CO2-Ausstoß der Europäischen Union bis zum Jahr 2030 durch mehrere Maßnahmen um 55 % gegenüber 1990 verringert werden und bis 2050 endlich Klimaneutralität ermöglichen. Einige Investoren wittern ein profitables Geschäft mit dem Klimaschutz und decken sich mit CO2-Emissionzertifikaten ein. Doch welche Auswirkungen haben diese Spekulationen auf die betroffenen Unternehmen?
Wenn es nach „Fit for 55“ geht, soll jeglicher Energieverbrauch in der EU teurer und damit unattraktiver gemacht werden. Besonders die Industrie ist davon betroffen – seit Jahren sind Industrieunternehmen dazu verpflichtet, jede ausgestoßene Tonne CO2 durch ein Emissionszertifikat auszugleichen. Eine gewisse Anzahl Zertifikate erhält jedes Unternehmen kostenlos, um auch gegen die ausländische Konkurrenz wettbewerbsfähig bleiben zu können. Weitere benötigte Emissionsrechte müssen entweder direkt ersteigert oder später von anderen Unternehmen, die sie nicht benötigen, auf dem Markt erworben werden. Das vor 16 Jahren gestartete europäische Emissionshandelssystem ist, trotz mittlerweile zahlreicher Nachahmer, noch immer das größte weltweit.
In den ersten Jahren nach der Einführung schien das Emissionshandelssystem nicht so ganz zu wirken. Der Preis eines CO2-Zertifikats blieb lange Zeit bei rund 5 €, denn es gab schlicht und einfach viel mehr Emissionsrechte am Markt als benötigt wurden. Seither wird das Angebot immer wieder verknappt und der Preis so immer weiter nach oben getrieben. Zahlreiche Investoren gehen heute zudem von immer strenger werdenden Klimaschutz-Regulierungen aus und sehen eine Chance auf einen stärkeren Preisanstieg der CO2-Emissionszertifikate. Beispielsweise Hedgefonds, die sich auf Energie-Wetten spezialisiert haben, kaufen die Zertifikate in ihr Portfolio und treiben durch ihre Spekulation die Kurse zusätzlich an.
Während der Preis eines CO2-Emissionszertifikats im März 2020 bei unter 16 € lag, waren es Ende Juni 2020 schon 25 € und zum Jahresende über 30 €. Im Mai dieses Jahres überschritt der Kurs der Emissionsrechte dann erstmals die 50 €-Marke. Dieser schnelle Preisanstieg in so kurzer Zeit stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Die Stahlindustrie rechnet beispielsweise mit Mehrbelastungen von über 13 Milliarden Euro, wenn der Preis der Zertifikate bis Ende des Jahrzehnts 100 € erreichen sollte. In der Gießereibranche sind laut Experten die Gewinnmargen bereits bei einem Preis von 60 € vollends aufgezehrt.
Damit stehen wir vor einem Dilemma. Aus Nachhaltigkeitssicht sollten die Kurse von CO2-Emissionszertifikaten unbedingt weiter ansteigen und Unternehmen vermehrt in die Nutzung klimafreundlicher Techniken treiben. Aus Unternehmenssicht bleibt aber zu wenig Zeit für eine Umstellung und die finanziellen Bürden könnten vielen Firmen noch vor einer erfolgreichen Transformation zum Verhängnis werden. Es lässt sich also darüber streiten, ob das Geschäft der Spekulanten mit dem Klimaschutz wirklich nachhaltig ist. Immerhin wetten die meisten von ihnen nicht wegen der Umwelt auf die Zertifikate, sondern wegen der erhofften Rendite.
Handelsblatt, Herwartz Christoph (2021): Die Industrie warnt vor erheblichen Risiken der EU-Klimastrategie
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/umbau-der-wirtschaft-die-industrie-warnt-vor-erheblichen-risiken-der-eu-klimastrategie/27396492.html [Letzter Zugriff: 05.08.2021]Umweltbundesamt (2021): Der Europäische Emissionshandel
https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/der-europaeische-emissionshandel#teilnehmer-prinzip-und-umsetzung-des-europaischen-emissionshandels [Letzter Zugriff: 05.08.2021]Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Theurer Marcus (2021): Wetten auf den Klimaschutz
Ausgabe Nr. 8 vom 28. Februar 2021Wirtschaftswoche, Gerth Martin (2021): Zocken gegen Klimasünder
https://www.wiwo.de/finanzen/geldanlage/co2-zertifikate-zocken-gegen-klimasuender/26961460.html [Letzter Zugriff: 05.08.2021]Bildnachweis, Titelbild: https://stock.adobe.com