Wenn die Welt über Covid-19 redet, stehen stets die Infektionszahlen und die entsprechenden politischen Gegenmaßnahmen, wie notwendige Einschränkungen oder Lockdowns, im Vordergrund. Doch warum hören wir in den Nachrichten kaum von der erstmals seit Jahrzehnten wieder ansteigenden Armut der Weltbevölkerung?
Das erste der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) verfolgt die Absicht, die weltweite Armut bis zum Jahr 2030 zu beenden. Die internationale Armutsgrenze liegt bei einem Einkommen unter 1,90 USD am Tag. In den letzten drei Jahrzehnten sank der Anteil dieser Gruppe an der Weltbevölkerung drastisch von 36 % im Jahr 1990 auf 9,9 % im Jahr 2015 (siehe Grafik). Besonders in den Regionen Südasien, Ostasien und Pazifik, Lateinamerika und Karibik sowie Europa und Zentralasien konnte die extreme Armut in dieser Zeitspanne stark reduziert werden.
Quelle Grafik: https://ourworldindata.org/extreme-poverty
Seither hat sich das Tempo der globalen Armutsbekämpfung aber verlangsamt, denn gewaltsame Konflikte und der Klimawandel belasten seit Jahren viele Entwicklungsländer. 2019 sollen noch immer 8,2 % der Weltbevölkerung in extremer Armut gelebt haben. Vorhersagen prognostizierten schon vor der Pandemie, dass das Ziel der Vereinten Nationen so nicht erreicht werden würde und verwiesen auf die voraussichtlich weiterhin bestehende Armutsrate von 6 % im Jahr 2030 (siehe Grafik). Vor allem die subsaharischen Länder Afrikas kämpfen konstant mit der weiten Verbreitung extremer Armut.
Durch die aktuelle Pandemie hat sich das Bild noch weiter verschlechtert. Anstatt eines zwar langsameren, aber immerhin rückläufigen, Trends hat sich die Zahl der weltweit in extremer Armut lebenden Menschen erstmals seit über 20 Jahren wieder erhöht. Laut Schätzungen der Weltbank sind alleine im Jahr 2020 zwischen 88 und 115 Millionen Menschen, die der Armut entkommen sind, wieder in der extremen Armut gelandet. Viele Hilfsprogramme stehen still – wichtige medizinische Grundlagen wie Masernimpfungen oder HIV-Behandlungen bleiben aus und es fehlt an Medikamenten sowie Mückennetzen. In Afrika könnten sogar weitaus mehr Menschen durch die indirekten Folgen von Covid-19 als durch die Krankheit selbst sterben. Wieder einmal werden besonders Entwicklungsländer von dieser Krise getroffen.
Die International Finance Corporation, eine Schwesterorganisation der Weltbank, hat gemeinsam mit dem christlichen Hilfs- und Entwicklungswerk World Hope eines von vielen Projekten ins Leben gerufen, um betroffenen Menschen zu helfen. Im Zuge des Projekts lehren sie junge Frauen in Sierra Leone, Seife herzustellen und zu verkaufen. Die Seifenherstellung hilft nicht nur den Mädchen dabei ihr Schulgeld zu bezahlen, sondern schützt gleichzeitig auch die Gemeinden vor dem Coronavirus. Projekte wie dieses sind notwendig, um die pandemiebedingten Rückschläge bei der weltweiten Armutsbekämpfung wieder umzukehren und Millionen Menschen ein Leben außerhalb der Armutsfalle zu ermöglichen. Covid-19 macht die Zielerreichung vielleicht nicht einfacher, aber nun liegt es an jedem Land, der Armut wieder den Kampf anzusagen und das gesetzte Ziel zu erreichen.
United Nations (2020): Goal 1: End poverty in all its forms everywhere https://sdgs.un.org/goals/goal1
United Nations (2020): The Sustainable Development Goals Report https://unstats.un.org/sdgs/report/2020/ [Letzter Zugriff: 05.05.2021]
Handelsblatt, Waschinsky Gregor (2020): Hunger, Armut, vernachlässigte Gesundheitsvorsorge: So schlimm sind die Kollateralschäden der Corona-Bekämpfung
https://www.handelsblatt.com/politik/international/pandemie-hunger-armut-vernachlaessigte-gesundheitsvorsorge-so-schlimm-sind-die-kollateralschaeden-der-corona-bekaempfung/26196874.html?ticket=ST-215964-vzzJM44x6vyVPfDAGscI-ap1 [Letzter Zugriff: 05.05.2021]The World Bank (2020): Reversing Setbacks to Poverty Reduction Requires Nations to Work Together for a Resilient Recovery
https://www.worldbank.org/en/news/immersive-story/2020/11/09/reversing-setbacks-to-poverty-reduction-requires-nations-to-work-together-for-a-resilient-recovery [Letzter Zugriff: 05.05.2021]Grafikbild: Our World in Data, Roser Max und Ortiz-Ospina Esteban (2017): Global Extreme Poverty https://ourworldindata.org/extreme-poverty [Letzter Zugriff: 05.05.2021] Titelbild: https://stock.adobe.com