Wenn wir durstig sind, drehen wir einfach den Wasserhahn auf. Wir stehen gerne lange unter der Dusche, lassen wegen wenigen Kleidungsstücken die Waschmaschine laufen und sprenkeln im Sommer unseren Rasen. Und das alles mit Trinkwasser. Ganze 130 Liter verbrauchen wir Österreicherinnen und Österreicher im Durchschnitt pro Kopf an einem Tag. Doch vielen Menschen bleibt dieser Luxus verwehrt. In Äthiopien liegt der tägliche Pro-Kopf-Durchschnitt bei 25 Litern, in ländlichen Regionen stehen den Menschen sogar nur 5-10 Liter zur Verfügung. Letzteres entspricht der Wassermenge, die wir in einer halben Minute duschen verbrauchen. Eine Erfindung, die den Nebeltrinker-Käfer als Vorbild nimmt, könnte die Trinkwasserversorgung in trockenen Regionen erleichtern.
Mehr als zwei Drittel der Erde sind von Wasser bedeckt, aber nur knapp drei Prozent davon sind trinkbar. Gleichzeitig sind die Trinkwasserreserven regional sehr ungleich verteilt. Wenn Sie nun denken, dass vor allem Afrika über wenig Wasser verfügt, dann täuschen Sie sich. Der afrikanische Kontinent verfügt sogar über die größten oberirdischen, nicht gefrorenen Wasservorkommen. Beispiele dafür sind unter anderem der Nil und der Victoriasee, welcher beinahe die Fläche Bayerns hat. Das eigentliche Problem ist meist der Zugang zu dem sauberen Trinkwasser, der speziell Familien in ärmeren Gegenden auf dem Land verwehrt bleibt. Weltweit sind rund 2,2 Milliarden Menschen von diesem Problem betroffen, was einem Viertel der Weltbevölkerung entspricht. Und die Klimakrise verschlimmert die Lage.
Häufig sind Frauen und Kinder für die Trinkwasserversorgung der Familie zuständig. Sie müssen teils stundenlang zum nächsten Brunnen laufen und verpassen dadurch ihren Schulunterricht. Es wird viel darüber geforscht, wie der Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht und erleichtert werden kann. Viele Lebewesen haben sich mit speziellen Eigenschaften an schwierige Lebensbedingungen angepasst, von denen wir uns einiges abschauen können. Der Fachbereich Bionik, dessen Name sich aus Biologie und Technik zusammensetzt, macht genau das. Eine der bionischen Erfindungen kopiert die Vorgehensweise des Nebeltrinker-Käfers. Der schwarz gefärbte Nebeltrinker-Käfer lebt in Namibia und hat sich mit einem wirkungsvollen Trick an die schwierigen Lebensbedingungen in der Wüste angepasst. In der trockenen Umgebung kann der Nebeltrinker-Käfer, wie sein Name vermuten lässt, Trinkwasser aus den Nebelschwaden gewinnen, die morgens durch die Wüste ziehen. Denn Luft enthält sechsmal mehr Wasser als alle Flüsse dieser Welt zusammen. Das Besondere an dem rund zwei Zentimeter großen Insekt sind seine Flügel. Sie sind mit kleinen Noppen übersäht, zwischen denen jeweils eine Rinne liegt. Mit seinen langen Hinterbeinen streckt der Käfer sein Hinterteil in einer gewissen Höhe, der Nebel kondensiert in kleinen Tröpfchen an den Noppen und das Wasser kann über die Rillen direkt in den Mund des Käfers fließen.
Mit technischer Hilfe können von dieser Vorgehensweise auch Menschen profitieren. Maschennetze kopieren die unebene Noppen-Struktur der Flügel des Nebeltrinker-Käfers. In nebelreichen Regionen senkrecht aufgestellt, weht der Wind durch die Netze und die darin enthaltenen kleinen Tröpfchen bleiben hängen. Sie verbinden sich zu großen Tropfen und laufen nach unten in eine Auffangrinne, von wo das Wasser durch Leitungen an den gewünschten Ort fließt. Werden die Netze in der Höhe positioniert, kann das Wasser ganz ohne Strom in die Dörfer transportiert werden. In Zeiten der überschüssigen Wassergewinnung kann die Flüssigkeit in Zisternen gespeichert werden und in Trockenperioden für Entlastung sorgen. Wichtig ist dabei auch, dass die Anlagen zur Wassergewinnung einfach aufzubauen und zu warten sind. So können sich die umliegenden Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner eigenständig um ihre Trinkwasserversorgung kümmern. Erste Maschennetze wurden bereits in Marokko getestet. Ein einzelnes Netzmodul mit neun Quadratmetern Fläche konnte in Spitzenzeiten über 600 Liter Wasser am Tag sammeln. Großflächige Projekte könnten so zukünftig die Trinkwasserversorgung in trockenen Gebieten enorm erleichtern.
Unicef, Rohde Tim (2022): Weltwassertag 2022: 10 Fakten über Wasser
https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/weltwassertag-2022-zehn-fakten-ueber-wasser/172968 [Letzter Zugriff: 06.04.2022]Österreichisches Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus: Durchschnittlicher Pro-Kopf-Wasserverbrauch in österreichischen Haushalten
https://info.bmlrt.gv.at/service/zahlen-fakten/Wasser/Wasserverbrauch.html [Letzter Zugriff: 06.04.2022]Menschen für Menschen (2020): In Afrika gibt es am meisten: 5 erstaunliche Fakten über Wasser
https://www.menschenfuermenschen.de/news/wasser-afrika-fakten/ [Letzter Zugriff: 06.04.2022]Enorm, Petzold Miriam (2022): Wie wir Trinkwasser aus der Luft filtern können
https://enorm-magazin.de/umwelt/klimawandel/nebeltrinker-kaefer-wasser-aus-der-luft-ernten [Letzter Zugriff: 06.04.2022]Bildnachweis: https://stock.adobe.com